Seit wann reden wir von Gefühlen - und wie nannte man sie vorher?

Das Gemüt und der Affekt
Das Gefühl als „menschliche Regung“ wurde erst spät in den deutschen Sprachgebrauch aufgenommen. Zuvor benutzte man den Begriff „das Gemüt“ für die Zusammenfassung von Zuständen, die uns bewegen. Im heutigen Sprachgebrauch heißen sie „Emotionen“. Damals allerdings nannte man sie auch „Affekte“, weil sie nicht restlos willentlich gesteuert werden konnten. Um zu beschreiben, was das Gemüt umfasste, schauen wir unter „Gemütsbewegungen“ in Meyers Lexikon von 1895:
Gemütsbewegungen nennt man diejenigen geistigen Erregungszustände, welche den Körper deutlich in Mitleidenschaft ziehen, wie Freude, Schmerz, Schrecken, Scham etc.
Schon damals war man sich nicht sicher, ob man „Gefühle“ separat ansehen sollte oder unter die „Affekte“ einreihen müsste. Man kam zu dem Schluss, dass man diejenigen Emotionen „Affekte“ bezeichnen müsste, die sich als „rasch vorübergehende Abweichungen vom natürlichen Gleichgewicht des Seelenlebens“ entpuppen. Die anderen, „edlen“ Gefühle galten als „Bestandteile des menschlichen Charakters“. Dazu würden unter anderem die Liebe zu Ehefrau und Kindern sowie das Ehrgefühl gehören.
Diese Einteilung in „flüchtige Leidenschaften“ und „tugendhafte Gefühle“ ist zwar völlig unwissenschaftlich, wirkt aber bis zum heutigen Tag nach.
Wer spricht über Empfindungen und Leidenschaften?
Das „Sprechen über Gefühle“ ist ohnehin eine Idee, die uns erst im 19. Jahrhundert begegnet, und hier hauptsächlich unter Schriftstellern. Sie waren gefordert, gefühlsstarke Texte zu produzieren, als sich die deutsche Romantik verbreitete und zahllose Anhänger fand. Dabei spielten die „Gefühle aus dem Inneren“ erstmals eine tragende Rolle, während man zuvor glaubte, Gefühle würden „von außen“ an die Menschen herangetragen. Erst im 20. Jahrhundert diskutierte man, ob es sinnvoll sei, sich über Gefühle in Gesprächen auszutauschen.
Aus der Seele, aus der Lust, aus der Brust
Die ältesten Quellen verweisen darauf, dass der Ausdruck „Gefühl“ in erster Linie mit „Sinnlichkeit“ in Verbindung gebracht wurde. Auch in der Dichtung muss man das Wort „Gefühl“ noch mit der Lupe suchen. Als globaler Begriff für „die“ Gefühle kommen nur ausgesprochen wenige Quellen infrage, die zudem als „mundartlich“ bezeichnet werden.
Denn alle Gefühle, große und kleine,
Kommen aus der Seele alleine.
(Im Original: Mittelniederländisch, 1864, in „der leken spieghel“)
Im Allgemeinen stand das „Gefühl“ aber auch stellvertretend für „die Lust“, beispielsweise:
„Sanfte Gefühle, von dir einst durchdrungen … die Schäferin war ihr Gesang“.
(Friedrich Karl Kasimir von Creutz, ca. 1750.)
Oder, in ähnlicher Weise:
Ihr, o Schönen dieser Zeit, ihr galanten Schäferinnen,
Anders hab' ich nichts vor euch, nehmt den besten meiner Sinnen,
Nehmt das zärtliche Gefühle und die treue Redlichkeit.
Johann Christian Günther, Dichter, 1732.
Der schnelle Wandel des Begriffs in Lexika
Wenn überhaupt von Gefühlen als „Regungen aus dem Inneren“ gesprochen und geschrieben wird, dann unter dem Stichwort „Gefühl – psychologisch“. Die neue Wissenschaft tauchte beispielsweise in „Mayers Konversationslexikon“ (1885-1892) auf. Dort wird auch bereits ein Kernsatz erwähnt, der bis heute Gültigkeit hat:
In der Natur der Gefühle ist es begründet, dass sie der äußern Darstellung und Mitteilung durch (sichtbare oder hörbare) Zeichen große Schwierigkeiten bieten.
Interessant ist dabei, dass schon 1895 die Trennung von „Gefühlen“ und „Gefühlen psychologisch“ aufgehoben wird, denn nun leitet Meyers den Abschnitt so ein:
Gefühl bezeichnet im abstrakten Sinne die Eigentümlichkeit oder Fähigkeit der Seele, durch Empfindungen, Wahrnehmungen und Vorstellungen angenehm oder unangenehm berührt zu werden. Im konkreten Sinne die dadurch entstehenden mannigfaltigen Gefühle der Lust oder Unlust.
(Nicht im Internet zu finden, Besitz des Autors).
Die neue Version war offensichtlich eine Folge der Forschungen des Leipziger Professors Wilhelm Wundt (1832 – 1920). Er begründete ein an die Naturwissenschaften angelehnte Beweisführung für das, was uns als „Gefühle“ bekannt wird.
Seither werden Gefühle sehr unterschiedlich beurteilt. In der Literatur wie auch im Volksmund benutzt man eher das Wort „Gefühl“, während man ansonsten eher von „Emotion“ spricht. Der Begriff „Gemüt“ geht hingegen immer mehr zurück und die natürlichen Gefühle werden nicht mehr als bloße „Affekte“ bezeichnet.
Soweit der historische Rückblick auf das Wort. Ich empfehle, noch die Ergänzung zu lesen. Dort führe ich verschiedene Gruppen auf, die sich mit Gefühlen beschäftigen und schreibe kurz über die Sichtweisen, die dabei vertreten werden.
Wenn du wissen willst, warum die Psychologie eine so wichtige Rolle bei den Betrachtung der Gefühle spielt, dann lies hier weiter. Du kannst die Einleitung auch Überschlagen, wenn du wissen willst, wie die Psychologie Gefühle einordnet.
Wenn du danach suchst, was der Unterschied zwischen Gefühlen und Emotionen ist, kann es hilfreich sein, den verlinkten Beitrag zu lesen.
Eine vereinfachte Version für Grundschüler ist ebenfalls vorhanden. Sie trägt den Titel: "Das Wort Gefühle - seit wann gibt es das?
Soweit Meyers zitiert wird: "retrolib"
Weitere Wörterbuch-Zitate nach einer neueren Ausgabe von Meyers.
Wörterbuchnetz-Zitate, Grimm, hier nachzulesen.
Weiterhin herangezogen: Dorsch und Spektrum.
Bild von Leon Lebègue, historisch, Detail, Buchillustration.
Text aus Kapitel 1 der Online-Reihe "Fühlen ist ein seltsames Gefühl".
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