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 Echte Gefühle und wie sie beschrieben werden können.

Die echten Gefühle - für Grundschüler

Hast du „echte“ Gefühle? Eines können wir dir sagen: Deine eigenen Gefühle sind immer echt. Aber du hast sicher auch schon erlebt, dass manche Jungs oder Mädchen etwas ganz anderes fühlen als du. Das ist normal – wirklich. Schlimm wird es erst, wenn sie sagen, du „sollst so fühlen wie die anderen“.

Nun wäre die Frage: Solltest du das tun oder nicht?

Also, dazu wissen wir etwas: Du bist nicht auf der Welt, damit du den anderen gefällst, sondern um dir selbst zu gefallen. Oder, wie wir gelesen haben:

Möglicherweise ist dir die Anerkennung von anderen wichtig. Du lernst, so zu sein, wie es ihnen gefällt. …. Frag dich, warum du etwas tust oder denkst. Wenn die Antwort ist: "Weil er/sie das möchte" oder "Weil sich das so gehört" oder so etwas Ähnliches, dann frag dich bitte (auch): "Was würde ich jetzt wollen?"

So zu sein, heißt „authentisch“ zu sein. Es bedeutet nur, dich möglichst wenig von deiner Gruppe anhängig zu machen. Vielleicht fürchtest du, Freundinnen oder Freunde zu verlieren, wenn du sagst, was du wirklich willst. Aber auf lange Sicht gewinnst du dabei, wenn du einen klaren Weg vor dir siehst: „Das will ich.“

Wahrscheinlich geht das nicht immer und überall. Aber die Idee, einmal ein selbstbestimmtes Leben zu führen, öffnet dir das Tor zur persönlichen Freiheit. Das heißt: du kannst dann so werden, wie du selber willst.

Und die echten Gefühle?

Bei den Gefühlen ist es so: Wenn du ein Gefühl hast, und ein anderer Mensch findet das gut, dann ist meistens alles in Ordnung. Wenn aber jemand sagt: „Mir gefallen deine Gefühle nicht, ich will, dass du etwas anderes fühlst“, dann ist es nicht in Ordnung, denn deine Gefühle gehören dir.

Zitat: Lilli (Schweiz)

Dieser Artikel für Schüler wurde 2024 zur Online-Reihe "Fühlen ist ein merkwürdiges Gefühl" hinzugefügt. Er ist nach Ansicht von sehpferd auch für Grundschüler geeignet.

Zu diesem Beitrag gib es eine Version für Lehrende und Lernende aller Altersgruppen.

Authentizität, Rollen und "wahre" Gefühle

Gibt es "echte" echte Gefühle?
Geht mit mir bitte einen Schritt zurück ins 19. Jahrhundert oder auch noch ins frühe 20. Jahrhundert. Du wurdest als Sohn des … und seiner Ehefrau … geboren. Das wies dich bereits als das aus, was du ein ganzes Leben lang sein würdest: ein Sohn aus einer sozialen Gruppe oder eines Berufsstandes. Bauernsohn, Beamtensohn, Arbeitersohn, Intellektuellensohn. Ich habe die Tochter nicht vergessen … aber ihr erging es kaum anders. Nach ihrer „Backfischzeit“ wurde erwartet, dass der Vater einen „passenden“ Ehemann für sie suchen würde – meist aus ähnlichen Kreisen.

Um das zu werden und zu bleiben, reichte es, wenige Gefühle zu entwickeln. Schließlich war deine Rolle von Anfang an klar. Du schuldetest deiner Umgebung ein bestimmtes Verhalten, das sich kaum jemals verändern würde – und die Gefühle, die nun mal dazugehörten.

Die offizielle Version und die verborgenen Gefühle

Das jedenfalls wäre die offizielle Version. Man wusste, dass jede Gesellschaftsschicht, besonders aber die bürgerliche, Fassaden und Barrikaden aufrichtete, um sich nicht in die Karten schauen zulassen. Aber man gab niemals zu, dass man mehrere Rollen mit abweichenden Gefühlen spielen konnte. Man war sozusagen „Jekyll und Hyde“ zugleich, ohne das Zaubermittel, dass sie zu trennen vermochte.

Moderne Zeiten - viele Rollen in einer Person

Die modernen Zeiten führten dazu, dass wir alle in unterschiedlichen Rollen unterwegs sind – als Azubi und als Ausbilder, als Lernender und Lehrender, als Fußballfan oder Chormitglied. Ein Teil von uns hat berufsbedingt mit „zwei Seelen in der eigenen Brust“ zu tun: Pfarrer, Berater und Schriftsteller beispielsweise. Kaum jemand aus anderen Berufen bleibt ein zeitweiliges Rollenspiel erspart – ganz abgesehen von Menschen, deren Beruf das Rollenspiel ist.

Parallel zu dem mehrfachen Rollenbild, das wir nun einmal benötigen, verlangt unsere soziale Umgebung sogar noch „authentische“ Gefühle. Ja, gerade diese Gefühle werden teils vehement eingefordert.

Die Psychologie sagt uns, dass „Authentizität“ bei Gefühlen „Stimmigkeit“, bedeutet, oder als Zitat:

Wer authentisch ist, lässt sich in seinem Handeln nicht von äußeren Einflüssen „verbiegen“, sondern richtet sich nach dem eigenen Empfinden und kommuniziert dieses Empfinden offen nach außen. Als authentisch empfinden wir dementsprechend eine Person, von der wir den Eindruck haben, dass … Worte und Taten, Werte und Handeln, Inneres und Äußeres übereinstimmen.

Diese Formulierungen werden in der Regel umso ausschließlicher vertreten, je mehr hinter der Aussage ein Kursus, Lehrgang oder dergleichen steht. Wenn jemand behauptet, dass du zu deinen echten Gefühlen vordringen musst, bedeutet dies, dass der Urheber solcher Behauptungen diene Gefühle nicht für echt hält.

Die Psychologie gibt widersprüchliche Antworten

Wie so oft in der Psychologie, haben wir es beim Begriff der „Authentizität“ mit einer Theorie zu tun. In der Praxis ist es schwer, in allen Situationen völlig „authentische“ Gefühle zu haben. Es ist eine Maximalforderung – mehr nicht. Was selten gesagt wird: Die Forderung nach „Echtheit“ der Gefühle kann durchaus krankhaft sein. Der gewöhnliche Mensch lebt damit, dass seine Gefühle auf einer Skala liegen, die am äußersten Ende „vollständiger Echtheit“ erreicht. Er fordert also keine „wahre Liebe“ und behauptet auch nicht, sie „lupenrein“ zu erbringen. Vielmehr genießt er es, zu lieben und geliebt zu werden. Die Suche nach einer „Bestätigung der wahren Liebe“ wird hingegen oftmals als „neurotisch“ angesehen, so bei Ronald D. Laing. (2)

Wir können so gut wie ausschließen, dass „Authentizität“ ein Persönlichkeitsmerkmal ist.


Authentizität bei Gefühlen - Wunsch oder Tatsache?

Wir können so gut wie ausschließen, dass „Authentizität“ ein Persönlichkeitsmerkmal ist. Das liegt daran, dass wir den Bedarf an „Echtheit“ nicht abschätzen oder voraussagen können. Da wir zudem unsere Rollen in sozialen Situationen anpassen, ist es durchaus wahrscheinlich, dass wir uns in den unterschiedlichen Rollen, die wir einnehmen, durchaus unterschiedlich verhalten. Mit anderen Worten: Wir passen unser Verhalten der Situation an und zeigen diejenigen Gefühle, die wir jeweils für angemessen halten.

Dazu kann ich getrost den Dorsch zitieren (3):

Authentisch zu sein bedeutet, sich gemäß seinem «wahren Selbst», d. h. seinen Gedanken, Emotionen, Bedürfnissen, Werten, Vorlieben, Überzeugungen … entsprechend auszudrücken und zu handeln. Authentizität schließt nicht aus, dass man sich in verschiedenen sozialen Rollen unterschiedlich verhält.

Noch weitaus direkter drückt sich der Neuropsychologe Theo Tsaousides aus: Er hält „authentisch zu sein“ für eine Emotion und auf keinen Fall für ein Persönlichkeitsmerkmal. Der Unterschied: Persönlichkeitsmerkmale ändern sich nicht spontan. Mit Emotionen können wir hingegen flexibel umgehen – je nachdem, was wir damit bewirken wollen.

Stimmt etwas nicht mit der Definition von „authentisch“?

Mit „Authentizität“ versuchen wir demnach, bestimmte Wirkungen hervorzurufen. (4) Das entspricht ganz und gar einer Erkenntnis der Kommunikationstheorie: Wichtig ist nicht, ob wir „authentisch sind“, sondern ob wir „als authentisch wahrgenommen“ werden. Das gilt für andere wie für uns selbst: Glauben wir, auf dem richtigen Weg zu sein, so fühlen wir uns „authentisch“. Und durch den Erfolg „sind“ wir es (aus unserer Sicht) auch. Möglicherweise sind wir dabei gar nicht „so schrecklich authentisch“, weil wir beispielsweise einfühlsam sein müssen. Und mir erscheint das ganze auch noch als Paradoxon; Gefühle sind echt, es sei denn, sie würden bewusst verfälscht. Demnach kann es nicht „noch echtere“ echte Gefühle geben.

Kurz: Wir können nicht davon ausgehen, authentisch zu sein, weil es keine authentische Persönlichkeit gibt. Was wir erfahren können, ist aber, jetzt und hier authentisch zu sein oder als authentisch wahrgenommen zu werden.

Falls wir so handeln, schaden wir jedenfalls niemandem – auch uns selbst nicht.

Wir haben uns bei diesem Artikel bemüht, alles in verständlichem Deutsch zu schreiben. Er enthält allerdings Zitate aus einem Fachbereich oder nutzt ein entsprechendes Vokabular und wendet sich vor allem an Leserinnen und Leser, die ihr Wissen vertiefen wollen.

Zitate und Quellen:

(1) Authentisch sein.
(2) Ronald D. Laing: "Do you love me - Gedichtband.
(3) Dorsch (Authentizität)
(4) Psychology Today (englisch)


Zu diesem Artikel gibt es eine stark vereinfachte Version für Grundschüler.