Eine der größten Revolutionen in der Forschung über Gefühle und insbesondere über das, was wir „Liebe“ nennen, kommt aus der Biochemie und der Gehirnforschung. Es handelt sich dabei um die Entdeckung der Botenstoffe, also körpereigener Drogen, deren Produktion durch das Gehirn angestoßen wird. Diese Stoffe sind in der Lage, Einfluss auf unsere Gefühle und unser Verhalten zu nehmen.
Das war im Grunde eine unglaubliche Sensation, aber sie wurde lange nicht so stark beachtet wie die Forschungen von Kopernikus, Darwin und Freud. Bekanntlich stellten alle drei (nach Freud Meinung) das menschliche Denken auf den Kopf, und er sprach von „Kränkungen“.
- Die Erde ist nicht der Mittelpunkt des Weltalls.
- Der Mensch hat die gleichen Wurzeln wie die Tiere.
- Ein Teil unserer Handlungen wird nicht bewusst gesteuert.
Es gibt weitere „Kränkungen“, von denen die wichtigsten genannt werden sollen:
- Der Mensch hat die Fähigkeit, automatisch zu reagieren.
- Seine Intelligenz kann durch Maschinen nachgebildet werden.
- Der Körper und die Psyche sind nicht getrennt, sondern Teile desselben Systems.
Die letztgenannte These ist die interessanteste für das Verständnis der Gefühle. Und hier setzen auch die körpereigenen Drogen ein, die Botenstoffe oder Neurotransmitter. Sie können und sollen uns in eine bestimmte Richtung treiben, und ich will dies hier nur für die Liebe erörtern.
Die Natur geht sparsam mit den Gefühlen um - macht aber Ausnahmen
Historische Darstellung - statt einer chemischen Fabrik wird hier die Elektrotechnik bemüht
Die Natur versucht im Allgemeinen, mit sehr wenig Energie auszukommen. Wer viel Energie verbraucht, muss mehr Nahrung zuführen, und Nahrung ist aus der Sicht der Säugetiernatur heraus nicht jeden Tag erhältlich. Das ist der Hauptgrund, warum die Natur versucht, alle lebenserhaltenden Prozesse zu ökonomisieren, zu rationalisieren und zu automatisieren. Mit zwei wichtigen Ausnahmen: Bei den Reaktionen auf die Furcht und bei dem Wunsch nach Fortpflanzung. Die erste Funktion sorgt für das Überleben des Individuums, das zweite für das Überleben der Art, und dieser Schritt mündet in der Tier- und Menschenwelt der Geschlechtsakt. Damit haben wir schon ungefähr umrissen, was passiert: Der Geschlechtsakt soll schnell, effektiv und konsequent abgewickelt werden. Um das zu gewährleisten, muss der „Sparmodus“ für Energie abgeschaltet werden und zugleich muss ein enormer Antrieb erzeugt werden, der sogar Gefahren vergessen lässt. Dazu setzt der Körper schnell wirkende Botenstoffe ein.
Die Steuerung der Gefühle durch das Gehirn - und die mächtige Körperchemie
Der Mensch „weiß“ das nicht. Er empfindet plötzlich den Drang, sich hier und jetzt geschlechtlich zu betätigen, Bedenken zurückzustecken und dabei „leichtsinnig“ vorzugehen. Die Natur baut nur eine einzige Hürde auf: Sie geht davon aus, dass die Weibchen entscheiden, welches Männchen sie befruchten darf und verweigern deshalb den anderen Interessenten die Möglichkeit.
Kulturelle und andere Hürden
Die Kultur hat andere Hürden aufgebaut. Sie kennt den Begriff der „Ethik“, hat moralische und rechtliche Vorstellungen unterschiedlicher Art. Hinzu kommen noch Begriffe wie „Sitten“, „Gebräuche“, „Rituale“ und dergleichen. Sie alle sind beim Menschen abhängig von der Gesellschaft, in der er lebt. Dabei kommt ständig vor, dass der Trieb eine andere Sprache spricht als es die „guten Sitten“ tun. Wann immer dies der Fall ist, entstehen Konflikte.
Das geht dann so:
1. Der sexuelle Drang entsteht und richtet sich auf eine Person.
2. Dieser muss eine Vorstellung davon haben, „wie es geht“,
3. Sodann müssen die „inneren Hürden“ aus verschiedenen Elementen überwunden werden.
4. Nun werden Rituale entwickelt, die entweder auf kulturellen Überlieferungen beruhen oder die sonst wie „üblich sind“.
5. Beide Personen sind sich einig und der Geschlechtsakt entspricht ihren Vorstellungen.
Anzumerken wäre, dass dies eine modernes, liberales und universelles Konzept ist.
Das also wäre die Beschreibung, in der die Botenstoffe noch nicht erwähnt wurden, sondern nur die Art ihres Einsatzes.
Ich fand eine hübsche Formulierung, die gut ausdrückt, was die Stoffe bewirken oder auch anrichten können:
Viele Wissenschaftler teilen die „Liebe” in drei Systeme auf: Leidenschaft, Lust und Bindung. Einige der Botenstoffe sind vor allem für die leidenschaftliche Phase verantwortlich, andere bestimmten die Lust. Alle drei Systeme können unabhängig voneinander agieren. Das bedeutet, dass nicht alle drei der gleichen „Meinung“ sein müssen, oder den gleichen Geschmack haben.
So gesehen, wirken also die Botenstoffe sowohl zusammen, als auch dann und wann gegeneinander.
Für die „lodernde Leidenschaft“ wird beispielsweise das Dopamin verantwortlich gemacht, ein Wirkstoff, den der Körper auch zur „Belohnung“ einsetzt.
Das Noradrenalin wirkt anregend, lustvoll und nimmt Einfluss auf die Stimmung – und was vielleicht noch wichtiger ist – es aktiviert den Körper.
Das Adrenalin ist bei uns Menschen ganz allgemein für die „schnelle Reaktion“ oder den „plötzlichen Antrieb zu Handlungen“ verantwortlich und ist deshalb ein wichtiger Mitspieler beim Sex. Es sorgt auch dafür, sich auf kaum etwas anders zu konzentrieren als das, was man vorhat – deshalb hemmt es auch Bedenken.
Zu erwähnen wäre noch das Serotonin, das im Volksmund auch als „Glückshormon“ bezeichnet wird. Es ist ein der typische „Stimmungsaufheller“ unter den Botenstoffen – mit seiner Hilfe empfinden wir also das „Liebesglück“.
Einen ähnlich volkstümlichen Namen hat auch das Oxytocin, das auch als „Treuehormon“ bekannt ist. Tatsächlich hat es einen großen Einfluss auf die Bindung von Paaren aneinander.
Sind wir der Sklaven von Botenstoffen und Hormonen?
Wir Menschen horchen nicht ständig auf unseren Körper, und wir geben auch natürlichen Regungen nicht immer und überall nach. Zudem gelingt es uns offenbar, Stimmungen auch gedanklich anzuheben oder zu vermiesen – egal, ob uns im Hintergrund Botenstoffe unterstützen oder nicht. Insofern sind wir nicht die Sklavinnen und Sklaven der Natur.
Wenn wir die „Stimme der Natur“ aber ständig unterdrücken, dann tun wir unserem Körper auch nichts Gutes.
Die beste Methode ist, auf den Körper zu hören und seine Bedürfnisse mit Bedacht umzusetzen.
Wir haben uns bei diesem Artikel bemüht, alles in verständlichem Deutsch zu schreiben. Er enthält allerdings Zitate oder ein Fachvokabular und wendet sich vor allem an Leserinnen und Leser, die ihr Wissen vertiefen wollen. Bildquelle: Aus den Aufzeichnungen des Arztes Fritz Kahn, Internet-Archiv, detail
Quelle: (unter vielen anderen) quarks.
Die Ganzheit des Menschen ist eine Methode, um zu erklären, was das Menschsein ausmacht. Der Begriff selbst ist nicht eindeutig, spielt für die Betrachtung der Gefühle aber eine entscheidende Rolle.
Je nach Ausrichtung der Betrachter besteht der Mensch „in seiner Ganzheit“ aus Körper, Geist und Seele. Das Gesamtbild entsteht allerdings erst, wenn wir die Begriffe klug zusammenbringen und sie auf uns selbst anwenden können.
„Seele“ kommt aus dem religiösen (überwiegend christlichen) Bereich und meint etwas anderes als die Psyche. Deshalb sagen andere Lehren vom Menschen aus, der „ganze Mensch“ würde aus Körper, Geist und Psyche bestehen.
Eine andere Definition für das Menschsein nimmt die Seele aus und sagt, unser Wohlbefinden sei abhängig von unserem körperlichen, geistigen und sozialen Zustand.
Schließlich sagt eine weitere Lehre aus, der ganze Mensch wäre über seinen Körper, seine Psyche, seinen Geist und seine Kultur zu erfassen.
Überkommenes Modell der Gefühle - Sozial (oder kulturell) und seelisch/psychisch sind wirchtiger
Lassen wir uns nicht verwirren, sondern versuchen wir, das Wesentlich aus den Begriffen herauszufiltern. Wer nach der wissenschaftlichen (und dennoch verständlichen) heutigen Sichtweise sucht, wird bei der Universität Genf fündig.
Auf den Spuren der Ganzheit ohne Schnörkel
Zunächst einmal ist der Körper Träger alle Lebensfunktionen. Der Mensch kann weite Teile davon durch sein Gehirn erfassen, wo sich einerseits der Geist befindet, sich andererseits aber auch die Gefühle ausbilden. Mit dem Beginn seines Lebens tritt er in eine Gruppe ein, mit der er seine Gefühle ausbilden kann. Durch die Gruppe wird er Teil seiner Kultur - und dieser Bereich der Gefühlswelt ist der brüchigste. Deshalb stimmen nicht alle Wissenschaftler darin überein, dass die Kultur berücksichtigt werden muss.
Die Wissenschaften befassen sich entweder ganz und gar oder aber hauptsächlich mit einem Aspekt des Menschseins.
- Wenn es sich um Religionen oder Esoterik handelt, redet man von der Seele.
- Ist vom Empfinden, Fühlen oder von Emotionen allein die Rede, so spricht man von der Psyche. Sowohl Ärzte (Psychiater) wie auch Psychologen haben etwas dazu beizutragen.
- Ist der Körper alleine betroffen, so ist die Hauptwissenschaft die Medizin.
- Ist der Geist alleine betroffen, dann spricht wahrscheinlich ein Philosoph.
Das Puzzle der Gefühle
Wenn wir ernsthaft über Gefühle „des Menschen“ reden wollen, müssen wir all diese Denkrichtungen, Wissenschaften und praktischen Belange berücksichtigen. Das geht letztlich nur, wenn wir uns selber fragen, was und wie wir fühlen. Nur wir selbst kennen das Ergebnis. Falls wir doch mehr Fragen dazu haben, benötigen wir kluge Menschen, die über ihre Fachrichtungen hinausblicken können.
Je nachdem, aus welchen welche „Puzzleteile“ unsere Gefühle jemals zusammengesetzt werden - immer bleibt ein Rest an Fragen übrig, die sich nicht endgültig beantworten lassen. Das ist absolut menschlich, und damit müssen wir leben.
Das Puzzle vom ganzen Menschen
Betrachten wir kurz die Teile, die im Puzzle verwendet werden:
Das Modell der Naturwissenschaften geht vom Körper und seinen Möglichkeiten aus Der Körper.
Er ist Träger des Gehirns und wird von ihm beeinflusst. Fast alles, was andere von unseren Gefühlen wahrnahmen, wird zuvor vom Gehirn bearbeitet und gesteuert.
Der Geist.
Hat seinen Sitz im Gehirn und ist lernfähig. Er kann Gefühle aufnehmen, verarbeiten, beeinflussen und auf verschiedene Art sichtbar machen.
Die Psyche.
Sie ist an die Evolution gekoppelt und wird von deren Resten beeinflusst. Durch Lernen werden unsere Gefühle ausgebildet, sodass mit der Zeit mehr als die Grundgefühle in uns wohnen. Die „Psyche“ ist ein abstrakter Begriff für den Inhalt dieser Regungen.
Die Seele.
Die Seele ist derjenige Teil von uns, von dem angenommen wird, dass er beständig ist. Der Begriff stammt aus der Religion, wird aber auch gerne in anderen Zusammenhängen verwendet.
Das Soziale.
Der Mensch braucht andere Menschen. Das, was daraus erwächst, ist das Soziale. Manche Gefühle lassen sich nur erklären, wenn wir andere mit Berücksichtigen. Deswegen beziehen wir unsere Umgebung (persönlich wie wissenschaftlich) mit ein.
Die Kultur.
Sie spielt immer dann eine Rolle, wenn wir unser Gefühlsleben auf Richtlinien überprüfen wollen. Das bedeutet, dass wir in eine Art „Katalog des bestehenden Verhaltens“ blicken müssen, um die Kultur mit einzubeziehen. Kulturelle Überlegungen zu Gefühlen werden besonders in der Ethik behandelt.
Drei Elemente müssen sein: Körper, Geist und Soziales
Wenn wir mögen, können wir die Definition der WHO (Weltgesundheitsorganisation) fast nahtlos auf unsere Gefühlswelt anwenden:
Gesundheit ist der Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit und Gebrechen.
Demnach wären unser Gefühlsleben perfekt, wenn wir mit ihm „das vollständigen körperliche, geistige und soziale Wohlbefinden“ erreichen können. Ob das immer gelingt, ist einen andere Frage. Aber was sollte uns daran hindern, es zu versuchen?
Körper, Gefühl und Geist bilden im Grunde eine Einheit, weil alles, was in uns Menschen vorgeht, letztendlich „körperlich“ ist. Das hießt: Weder die Gefühle noch der Geist existieren „unabhängig“ vom Körper.
Die großen Diskussionen in den Geisteswissenschaften ignorierte in der Vergangenheit aus ihrem Selbstverständnis heraus den Körper. Indessen versuchte man in der Philosophie wie auch andere Geisteswissenschaften zu allen Zeiten, aus denen etwas Schriftliches vorliegt, den Geist und die Gefühle zu trennen. Manchmal wird dabei der Eindruck erweckt, „Ratio“ (Geist, Vernunft, Sachdenken) wäre das Gegenteil von „Emotio“ (Gefühl, Empfinden).
Innerhalb der jüngeren Geschichte der Menschheit wechselte die Bedeutung von Verstand und Gefühl wie Ebbe und Flut.
1. Vor der Aufklärung war das Gefühl stark an etwas Abstraktes gebunden („die Seele“ wie auch an etwas Körperliches („die Brust“, „das Herz“)).
2. Währen der Zeit der Aufklärung sank der Wert des Gefühls enorm. Das Idealbild war der von der Vernunft geleitete Mensch.
3. Die (vornehmlich deutsche) Romantik versuchte erneut, Gefühle in den Mittelpunkt zu stellen, und entfernte sich dabei bewusst von Realitäten.
4. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstanden „Technische Hochschulen“, aus denen eine andere Art von „Geist“ hervorging als derjenige, der in den Geisteswissenschaften zu Hause war.
5. Parallel dazu entstand die Psychoanalyse, die als kompetent für die „Seelenkunde“ angesehen wurde und die sich seither als „zuständig“ für Gefühle ansieht.
6. Im Verlauf des 20. Jahrhunderts wurde die Welt mithilfe der Technik in einem Maße verändert, das zuvor nicht einmal vorstellbar war. Dabei wurden immer mehr Funktionen des Gehirns, der Gefühle, aber auch gesellschaftliche Zusammenhänge von eher biologisch-technisch orientierten Wissenschaften erläutert.
7. Aufgrund der Diskussion um neue Rechenmaschinen („Computer) und die neue Wissenschaft der Kybernetik wurde gegen 1970 versucht, einen Dialog zwischen Karl Steinbuch (Kybernetik) und Simon Moser (Philosophie) zu imitieren, der eine Klärung bringen sollte. Es gelang zwar, wurde aber bald wieder vergessen. Dabei ging es nicht ausschließlich, aber eben auch um das Denken und Fühlen.
8. Seither werden Gefühle teils erneut romantisiert, teils sogar verherrlicht oder erneut in „übersinnliche“ Sphären verschoben. Andernteils konnten ihre Ursachen inzwischen recht genau durch Gehirnforschung udn Biochemie beschrieben werden.
9. In einer vernünftigen Lehre vom Menschsein sind „Ratio und Emotio“ weder Gegensätze noch gehören sie zwei unterschiedlichen Welten an. Sie verbinden sich vielmehr in einem Prozess des „Lernens und Entscheidens“.
Gefühle verstehen heute - 2024
Die heutige, von Vernunft getragene Sichtweise ist relativ einfach zu erklären:
- Zuerst entstehen Gefühle einfach. Wir fangen nichts damit an. Vielleicht schreien wir, wenn wir Babys sind. Und vielleicht laufen wir weg, wenn wir etwas älter sind. Später erfahren wir, dass solche Gefühle auch Namen haben.
- Nach und nach lernen wir, dass besonders der heftige Ausbruch spontaner Gefühle gewisse Auswirkungen hat. Je nach Resultat sagen wir uns: „Bevor ich mich entscheide, muss ich erst einmal überlegen.“
- Je älter jemand wir werden und je schwerwiegender unsere Entscheidungen sind, umso mehr kommt der Geist ins Spiel. Von den Vorgängen, die während eines Entscheidungsprozesses im Gehirn vorgehen, wissen wir wenig, und mir scheint, dass dies auch nicht unbedingt nötig ist.
Oder in einem Satz:
Im Laufe unseres Lebens lernen wir, das Zusammenspiel von Geist und Gefühle zu unserem Vorteil zu nutzen.
Vielleicht fragt ihr ja nun, „was sagt denn die Wissenschaft dazu?“ Nun, es kommt ein wenig darauf an, wie man die Wissenschaft befragt und wie neu oder angejahrt die Quellen sind, die benutzt werden. Es bedarf keiner großen Anstrengung, „Denken“ von „Fühlen“ abzugrenzen oder das Denken gar als Feind des Fühlens zu bezeichnen. Doch das bringt uns nicht weiter - wir suchen ja nach der „Schnittstelle“ in unserem Leben, die „Denken und Fühlen“ zusammenbringt.
Denkgehirne und Fühlgehirne
Ganz verschiedenartige Denkrichtungen kommen heute zu dem Schluss, dass unser „Fühlgehirn“ und unser „Denkgehirn“ miteinander verschaltet sind. Unter anderem die Gehirnforscher selbst, aber auch durchaus Psychologen und Ökonomen. Die grundlegende Idee kommt allerdings aus der Lerntheorie, die durch die Gehirnforschung weitgehend gestützt wird. Denn „jedes neuronale Signal“ (in diesem Sinne jede Gefühlsreizung) „passiert in erster Linie den Limbus“. Der Limbus ist der Teil des Gehirns, der die Gefühle sozusagen „empfängt“. Dieser Teil des Gehirns mag nicht sehr „intelligent“ sein, aber er ist klug genug, einerseits „nicht jeden hereinzulassen“ und andererseits, bei einem ausgelösten Alarm sehr schnell zu reagieren. Ich zitiere dazu:
Der Limbus bewertet die ankommenden Reize nach den Kriterien bekannt vs. unbekannt, wichtig vs. unwichtig und angenehm vs. unangenehm. Der Informationsinhalt wird stets mit bereits vorhandenem Wissen verglichen und andererseits im Hippocampus emotional bewertet. Wird der Reiz als unwichtig empfunden, wird er gar nicht erst weitergeleitet. Er hat damit keine Chance als fester Wissensbestand (Neuronenpopulation) im Cortex zu landen.
Im Cortex (im Großhirn) werden Informationen bekanntlich gespeichert. Das heißt also, dass wir nur die Gefühle „hereinlassen“, an die wir uns später erinnern müssen, um sie in Denkprozesse einzubauen. Jedenfalls im Idealfall. Jeder Mensch weiß: Das geht manchmal schief - und wir wissen wirklich nicht genau, warum das so ist. Zudem ist nicht ganz klar, wann unser Gehirn auf die riesige Datenbank zugreift und wann nicht. Denn der Mensch ist so weit frei: Er kann etwas „dennoch“ tun - sowohl gegen die Gefühlsübermacht wie auch gegen die reine Vernunft.
Mit dieser Aussage ist das Thema nicht erschöpft, aber zumindest ausreichend erläutert.
Bereits vor Jahrzehnten wurde mit dieser Methode gearbeitet, allerdings unter anderen Voraussetzungen. Damals begann man, das Denken und Fühlen pauschal als „inneren Modell der Realität“ zu verstehen. Und genau damit erschließt sich das Thema nahezu für uns alle.
Ich zitiere aus den Grundzügen ():
„Eine wichtige Voraussetzung … ist, dass die inneren Modelle die Realität möglichst exakt wiedergeben. (…) Ein wichtiger Aspekt des Lernens besteht darin, die Übereinstimmung zwischen Realität und Modell zu verbessern. (…) Um ein Problem zu lösen, untersuchen wir unseren Vorrat an inneren Modelle, welche unter vielen möglichen Maßnahmen (oder Folgen solcher Maßnahmen) … mit dem geringsten Aufwand zur Lösung führt, und führen diese optimale Maßnahme dann aus.
(Das Zitat hat den Mangel, die Gefühle nicht ausdrücklich zu erwähnen, es unterstützt aber dem Sinn nach die These, dass wir in uns selbst die Datenbank der Realitäten aufbauen und anwenden.)
Wir können nun darüber diskutieren, wie wir zu Entscheidungen kommen, die aus Gefühlen herauswachsen. Allerdings haben wir dafür keine Belege. Die Annahme ist: Wir ordnen und bewerten unsere Erfahrungen, und wenn wir dabei zu einem Schluss gelangt sind, führen wir das aus, was sich für uns am meisten lohnt.
Strukturen der Gefühle - wie gehen wir damit um?
Eine weitere Diskussion, die ich hier nicht vertiefen will, ist die Struktur der Gefühle. Die Frage lautet: Wenn Gefühle, wie ich hier behaupte, analog (fließend) aufgenommen und automatisch weiterverarbeitet werden, wie können sie dann jemals in einen (digitalen) Denkprozess überführt werden? Es scheint, als wäre die Antwort gefunden: Wir können zwar keine Gefühle „direkt“ abspeichern, wohl aber eine Abfolge von Ereignissen. Es ist – wie leicht zu erkennen ist – auch ein „Lernprozess“. Wir Menschen sind nicht allein mit diesen Fähigkeiten – viele Lebewesen können dies. Schwieriger wird es schon, das Gefühl selbst, das weiterhin im Analogen herumdümpelt, zu verbalisieren oder eben zu digitalisieren. Die übliche Idee dazu ist, Gefühle anhand ihrer Entwicklung oder des Verhaltens zu beschreiben.
Wir haben uns bei diesem Artikel bemüht, alles in verständlichem Deutsch zu schreiben. Er enthält allerdings Zitate oder ein Fachvokabular und wendet sich vor allem an Leserinnen und Leser, die ihr Wissen vertiefen wollen.
Zitate aus: Neurobiologie, 2016.
Weitere Gedanken aus: Automat und Mensch, Berlin 1965, "Mensch und Automat", und "Philosophie und Kybernetik", München 1970.