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 Echte Gefühle und wie sie beschrieben werden können.

Die Psychologie, die Gefühle und wir

Allgemein wird angenommen, dass die Psychologie durch den Arzt Sigmund Freud und seine neuen Lehren an Popularität gewann. Doch Freund und die meisten seiner Kollegen waren nicht sonderlich an der Gefühlswelt interessiert, sodass sie eher ein Schattendasein in der Welt der Psychoanalyse führten. Zudem wurden im Umfeld der Theorien von Sigmund Freud und Carl Gustav Jung zahlreiche unbewiesene Behauptungen verbreitet. Bei Freud war es die „Verdrängung“ der Gefühle und bei Jung das „kollektive Unbewusste“. Beide Theorien beschäftigen sich mit einem „geheimnisvollen“ Unterbewusstsein, das zu zahllosen Spekulationen Anlass gab. Die Gefühle selbst wurden dabei nicht erhellt.

In den 1970er-Jahren wurden Gefühle oder Emotionen in der Psychologie plötzlich populär – teils unter dem Einfluss der humanistischen Psychologie, teils aber auch durch den Zeitgeist. Der Psychologe und Psychiater Daniel Casriel propagierte das Glücksgefühl, das aus den „positiven“ Emotionen entsteht. Im Klappentext lesen wir folgende Behauptung (1):

„Eine der Hauptursachen für die zunehmende Zahl … charaktergestörter Menschen ist die Verdrängung elementarer Gefühle“.

Diese Idee begeisterte manche Psychologen und Nicht-Psychologen. Die Ideen wurden in Seminaren und Gruppen verbreitet (Selbsterfahrungsgruppen, „Encounter“), die sich auf vielfältige Weise damit beschäftigten, Gefühle hervorzurufen.

Welche Gefühle interessieren Psychologen wirklich?

Die Gefühle, die Psychologen und angehörige ähnliche Berufszweige interessieren, sind seit 1980 sorgfältig dokumentiert. Die Sache hat einen einfachen Hintergrund: Um über die Gefühle zu sprechen und sie zu erforschen, benötigt man eine Ordnung, die mit Etiketten versehen werden kann. Die Psychologie hat gegen 1980 intern entschieden, dass es acht „Primäremotionen“ gibt, die ich nun vereinfacht darstellen will.

Die wichtigsten Fragen des Überlebens sind für Menschen: Feinde zu erkennen, sichere Gemeinschaften zu finden und sich fortzupflanzen. Hinzu kommen Gefühle, die unseren Alltag betreffen und nicht zwingend erforderlich sind, um zu überleben. Die acht Gefühle sind laut dem Psychologie-Professor Robert Plutchik:

Die Basisgefühle - hier abgestuft nach Intensität - Quelle: Wikipedia.


1. Die Furcht (Angst). (Terror)
2. Das Vertrauen. (Admiration)
3. Die Lust. (Ecstasy)
4. Der Zorn. (Rage)
5. Der Kummer. (Grief)
6. Die Abneigung. (Loathing)
7. Das Erstaunen. (Admiration)
8. Die Erwartung. (Vigliance)


Zu den einzelnen Bezeichnungen muss hinzugefügt werden, dass Plutchik englische Begriffe benutzte. Sie sind in der Übersetzung oft anders dargestellt worden als hier. Durch die Übersetzungen sind auch Verzerrungen entstanden.

Hier einige Beispiele:

Die Furcht, auch als „Schrecken“ bezeichnet, mit der möglichen Folge der Panik.
Der Zorn mit der Vorstufe des Ärgers und der Folge der Wut.
Die Lust auch als „Freude“ bezeichnet und in einen Zusammenhang mit der Ekstase gebracht.
Der Kummer wird auch als als „Traurigkeit“ bezeichnet.
Die Akzeptanz mit dem Wort „Vertrauen“, aber auch mit „Bewunderung“.
Die Abneigung, auch als „Ekel“ definiert oder als Abscheu.
Das Erstaunen auch als Überraschung und oftmals als Verwunderung.
Die Neugierde, auch als Erstaunen, und auch als Umsicht oder Erwartung.


Diese Gefühle lassen sich ausführlicher beschreiben. Wir werden später sehen, wie die Kombinationen weitere Gefühle abdecken können. Zugleich werden wir darüber reden müssen, ob alle die „Gefühle“ wirklich das „Fühlen“ betreffen und ob dieses Schema für alle Gefühle gültig ist.

Zunächst die Definitionen in einfacher Sprache:

Lust

Lust ist der Zustand, in dem wir uns wohlfühlen - bei der Arbeit, in der Freizeit, beim Essen und natürlich beim Sex. Wir sind also zufrieden mit uns selbst und mit anderen.

Vertrauen

Wir vertrauen uns, anderen und den Umständen. Wir handeln mit diesem Gefühl und durch dieses Gefühl und glauben, dass uns (und anderen) dadurch keinerlei Schaden entsteht. Das Vertrauen ist im Grunde die Reaktion, mit der wir bewusst oder unbewusst unser Leben gestalten.

Angst

Angst ist die Unsicherheit, die uns überfällt, wenn wir nicht wissen, was uns erwartet und wir daran zweifeln, dass es für uns selbst „gut ausgeht“. Es ist aber auch eine Körperreaktion, die unbedingt nötig sein kann, um Gefahren abzuwenden.

Erstaunen

Wenn wir keinerlei Ahnung haben, wie etwas ausgehen wird und wie weder etwas fürchten noch erwarten, dann setzt das Erstaunen ein. Man sagt, es sei die Normalreaktion, wenn wir mit etwas völlig Neues erproben und es gleich gelingt oder wir aus Zufall beschenkt werden.

Zorn

Wenn uns etwas von außen trifft und gegen unsere eigenen Neigungen oder Prinzipien verstößt oder wenn man uns in entsprechender Weise „behandelt“ (zum Beispiel herabwürdigt) empfinden wir Zorn. Er kann auch in Wut umschlagen und dann zu heftigen Reaktionen führen kann.

Kummer

Kummer, Traurigkeit oder der unerwartete Verlust von Vertrauen in uns selbst führt dazu, „niedergeschlagen“ zu sein. Diese Reaktion versetzt uns in einen Zustand des „Grübelns“, und wir benötigen dann jemanden oder auch etwas, das uns „da wieder herausholt“.

Abneigung (Ekel)

Abneigung ist eine der natürlichen Reaktionen, jemandem keinen Zugang zu Körper, Geist und Emotionen zu gewähren - also ihn abzulehnen oder zu meiden. Bei der Lust beispielsweise, auf keinen Fall sexuellen Umgang mit ihm/ihr zu haben..

Erwartung

Erwartung ist eines der Gefühle, die sich auf die Zukunft beziehen - manche Autoren sagen deshalb eher, es handele sich um Neugierde, und wieder andere fragen sich, ob sich diese Haltung überhaupt als „Gefühl“ bezeichnen lässt.

Die Kombinationen aus den Etiketten - neue Gefühle

Nachdem wir nun die „Etiketten“ behandelt haben, werden viele von euch sagen: „Ja, aber das bildet eigentlich nicht die Gefühle ab, die ich selbst habe.“ Doch diese Sichtweise kann verbessert werden, wenn man sich ansieht, dass viele der grundlegenden Gefühle miteinander kombiniert werden können. Dazu kommt noch, dass derartige Gefühle viele Namen haben, also nicht ein einziges „Etikett“.

Das zeige ich an Beispielen:

Lust und Vertrauen - Liebe empfinden.
Lust und Erwartung - optimistisch sein.
Vertrauen und Furcht = sich unterordnen.
Furcht und Überraschung - Aufkommen von Panik.
Überraschung und Kummer - enttäuscht sein.
Kummer und Abneigung = etwas bereuen.
Abneigung und Frucht = jemanden verachten.
Zorn und Erwartung - aggressiv werden.


Wenn wir nun die „reine Lehre“ verlassen und damit auch der Psychologie erneut den Rücken kehren ergibt sich die Frage, ob es sich bei allen acht „ultimativen Standard-Gefühlen“ wirklich um Gefühle handelt. Insbesondere bleibt bei diesen Definitionen völlig unklar, warum sich manche Gefühle so heftig auswirken, während andere eher langsam entwickelt werden.

Unklar bliebt auch, ob und wie sich Gefühle ständig „neu bilden“ und wann und wie sie dabei von Neurotransmittern beeinflusst werden. Immerhin wird der größte Teil all unserer Handlungen durch ein erlerntes Verhalten bestimmt, an dem nur noch teilweise spontane Emotionen beteiligt sind.

Und schließlich fällt noch etwas auf: Mit jedem Etikett, das die Psychologie als „grundlegend“ vergibt, wird die eigene Möglichkeit, Gefühle zu beschreiben, stark eingeschränkt.

Mehr oder weniger Etiketten für Gefühle?

Wenn man berücksichtigt, dass auch andere als Robert Plutchik am Thema geforscht haben, fällt auf, dass sie teils zu gleichen, teils aber auch völlig anderen Schlüssen gekommen sind. Die Mehrheit wollte nur Ärger und Furcht, Abneigung (Ekel), Freude und Traurigkeit als Basisemotionen gelten lassen. Manche Forscher fügten einzelne Gefühle hinzu, die ihrer Meinung nach fehlten. Dazu gehören auch Scham, Verzweiflung, Akzeptanz und elementare Gefühle wie Liebe und Hass. Ferner werden Hoffnung, Glück, Panik, Schuld, Verachtung und Zufriedenheit genannt.

Generell lässt sich sagen, dass sich manche Begriffe überschneiden. Andere wurden neutralisiert, zum Beispiel alle, die sich um den Fortpflanzungstrieb und die daraus entstehenden Emotionen drehen. Auch die babylonische Sprachverwirrung zieht tiefe Furchen in die Bezeichnungen. Von der Gelehrtensprache in simples Englisch, vom Englischen in die jeweilige Muttersprache des Lesers übersetzt, entstehen Unklarheiten, die eher verwirren als zu erhellen. Ein Beispiel ist „vigilance“, aus dem Französischen für „Wachsamkeit“ ins Englische übernommen, übersetzt mit „Umsicht“, aber in der Bedeutung eher als „Erwartung“ bezeichnet. Kein Mensch weiß, warum „Umsicht“ zu den Gefühlen gehören soll - es ist eine Maßnahme.

Gegen die Theorien von Robert Plutchik gibt es manche Einwände. Sie werden hier in einem besonderen Beitrag behandelt, indem wir fragen: „Wie viele Gefühle gibt es eigentlich - und welche davon sind wirklich Basisgefühle?“

Das ist nicht auf den „Erfinder“ der Theorie zurückzuführen, sondern auf die Unzulänglichkeit der Sprache selbst, wenn es um die Beschreibung von Gefühlen geht.

Dies alles führt uns zum nächsten Thema. Es geht darum, was Gefühle für uns bedeuten - also, einfach ausgedrückt, was sie „mit uns machen“. Denn so viel dürfte klar sein: Sie regulieren und deregulieren, nützen und schaden, und wir nehmen sie manchmal wahr und manchmal nicht.

Dieser Artikel wurde in verständlichem Deutsch für Lehrende und Lernende geschrieben.

(1) Casriel: "Die Wiederentdeckung des Gefühls" 1972 verfasst, deutsche Ausgabe von 1977.

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