Am Anfang war alles wüst und leer ... aber aus der Genesis lernen wir, dass der Schöpfergott Menschen zu seinem Ebenbild gestaltete, als „Frau und Mann schuf er sie.“
Das ist - zumindest aus der Sicht der Genesis - der Grund, warum wir Menschen in der Schöpfungsgeschichte nicht mit Gefühlen ausgestattet wurden.
Der bekannte Kirchenlehrer Augustinus von Hippo ging insbesondere auf die Sexualität ein, die er in „vor dem Sündenfall“ und „nach dem Sündenfall“ einteilte. Gekürzt bedeutet dies:
Augustinus behauptet, dass erst nach dem Sündenfall die sexuelle Lust (Concupiscentia) für die Kopulation notwendig geworden sei. (Weil sie nun) ... ein böses Ergebnis des Sündenfalls sei (müsse) daher der Geschlechtsverkehr unweigerlich mit dem Bösen einhergehen.
Konkret heißt dies, dass die Menschen sich erst durch den „Sündenfall“ ihrer Triebe bewusst wurden, während der Geschlechtsakt zuvor ein gewöhnlicher Teil des Lebens war, und dass der sexuelle Akt deshalb, wie alle anderen Gefühle auch, dem Verstand unterzuordnen sei. Dazu John Carrington:
Nach Augustinus wird das Gefühl am besten in Verbindung mit dem Wollen verstanden. (Er schrieb) ...dass Emotionen im Grunde Ausdruck des Willens seien, (allerdings) am besten in Verbindung mit einer mit Gott verbundenen und von dieser Beziehung zum Guten neigenden Seele vor.
Nun kann man eine religiöse Gefühlslehre nicht alleine vom „Sündenfall“ ableiten, der im Grunde gar keiner war - und der insbesondere nichts mit der Sexualität zu tun hatte.
Der Mensch als Wesen der Natur
Aus der Sicht der abrahamischen Religionen, besonders aber im Christentum, wird jede Diskussion schwierig, sobald der Mensch als natürliches Wesen betrachtet wird, das „von Grund auf“ mit Gefühlen ausgestattet ist.
Nach und nach begann man, die theologische Sicht als „höhere Wahrheit“ anzusehen, doch die „niedere Wahrheit“ begegnete den Menschen jeden Tag. Dabei spielt es keine Rolle, ob jemand Priestern oder Laie war.
Die guten Gefühle natürlicher Wesen und die Religion
Das „natürliche Wesen“, ist immer mit Verstand und Gefühl ausgestattet. Obgleich zum Verständnis der Religion an sich keine Gefühle nötig sind, wird doch angenommen, dass der Mensch Gefühle besitzt, ja, dass er sie sogar benötigt. Vereinfacht kann man es so sehen:
1. Die Gefühle sind da und sollen anerkannt werden.
2. Was immer sie sind, der Verstand muss sie kanalisieren, filtern zügeln und sinnvoll nutzen.
3. Die Religion inspiriert uns, dies in guter Weise zu vollenden.
Manche Theologen versuchen seit dem 21. Jahrhundert, sich intensiver mit „Religion und Gefühlen“ auseinanderzusetzen, sinnvollerweise erfolgt dies dort, wo Theologie gelehrt wird. (2)
Ich zitiere dazu folgenden kurzen Text von 2012:
Gemeint sind mit religiösen Gefühlen solche Gefühle, die in einem direkten Zusammenhang zur christlichen Religion stehen und die aufgrund dieser Rolle auch in der theologischen Forschung reflektiert worden sind. Dazu gehören u.a. (3) Transzendenzgefühle, Scham, Ehrfurcht und Hoffnung.
Das Beispiel mag zeigen, wie zurückhaltend Christen generell mit dem „Menschlichen“ umgehen - auch in diesem Beispiel werden ja nur Abspaltungen von Gefühlen erwähnt (Scham und Hoffnung) und zwei Gefühle hinzugefügt, die kaum als solche zu bezeichnen sind - Transzendenz und Ehrfurcht.
Religion ist nicht auf die Menschen beschränkt, die sich auf die „abrahamitische Auslegung“ (4) des Gottes- und Menschenbegriffs berufen. Manche Religionen und religionsähnlichen Zirkel versuchen, die Gefühle herunterzuspielen oder gar völlig zu unterdrücken, um sich ganz auf das Spirituelle zu konzentrieren.
Der Zwiespalt – das wirkliche Leben und der religiöse Anspruch
In vielen Texten wird zudem erwähnt, dass ein religiöser Mensch nicht von Gefühlen durchdrungen sein muss - nicht einmal im religiösen Sinne. Im Gegenteil – um einer Religionsgemeinschaft beizutreten, sei es nicht zwangsläufig notwendig, etwas zu fühlen. Es ging vielmehr allein um die Botschaft. Sie müsse nur aufgenommen, dann verinnerlicht und schließlich gelebt werden. Man folgt sozusagen der „höheren Macht“, folgt ihren Worten und denkt nicht darüber nach - so wie Luther es gelehrt hat.
Allerdings tut das niemand wirklich. Denn der Mensch kann in jeder Sekunde irgendwelchen Impulsen ausgesetzt sein, die Gefühle auslösen, sei es willentlich oder unwillentlich. Und er ist allein dafür verantwortlich, wie er darauf reagiert - im Guten wie im Bösen.
Ob wir nun vom „Glauben“ oder vom „Aberglauben“ reden, eines haben beide gemeinsam: Biologisch erklärbare Gefühle sind dort „Emotionen zweiter Wahl“. Das mag die Adepten oder die Gläubigen nicht stören, aber es verhindert, dass beide Gruppen verstehen, dass wir in einer komplizierten Welt leben. Wenn wir uns selbst und unsere Mitmenschen ernst nehmen, reicht der Glaube nicht, und die Transzendenz bringt uns nicht zu Verstand.
Die Idee, den Verstand zu verlieren, um in der Religion oder der Esoterik, manchmal auch in der Psychologie das Seelenheil zu suchen, ist möglich, aber nicht ungefährlich.
Besser geht es, wenn jemand sowohl seinen Körper wie auch seinen Geist und seine Psyche versteht.
Text für Experten und kritische Leser/innen. Dieser Beitrag vertieft eines der Themen der Artikelserie "Fühlen ist ein wundersames Gefühl". Er enthält neben Fakten auch Meinungen zum Thema.
(1) Uni Tübingen, theol.
(2)Moderne Definition (englisch)
(3) Transzendenzgefühle - Gefühle, die nicht aus dem weltlichen Bereich stammen oder sonst nicht rational erklärbar sind.
(4) Dazu gehören Juden, Christen und Muslime und - in weiteren Sinne - auch andere monotheistische Religionen.
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