Das Johari-Fenster - ist es wirklich noch brauchbar?Wer über Selbst- und Fremdwahrnehmung nachdenkt, kommt früher oder später mit dem Johari-Fenster in Berührung. Es ist ein Modell, das beide Einschätzungen in vier „Scheiben“ eines Fensters darstellt. Entwickelt wurde es in den 1950er-Jahren. Bekannt wurde es vor allem dadurch, dass es in sogenannten „gruppendynamischen Prozessen“ angewendet wurde. Dabei wurden neben den Eigenschaften der Personen auch ihre Gefühle freigelegt.
Das Fenster besteht aus vier Bereichen:
1. Meiner öffentlichen Person – wie ich mich wahrnehme und andere auch. (LO)
2. Meine Eigenschaften, die ich nicht wahrnehme, andere aber schon. – den „Blinden Fleck“. (RO)
3. Meiner Privatheit, die ich nicht zeigen will. (LU)
4. Meine Eigenschaften, die ich nicht kenne und andere auch nicht wahrnehmen können. (RU)
Johari-Fenster mal anders
Das Ziel kann entweder sein, die Unterschiede zu erkennen oder die Bereiche zu verschieben. Soll dabei die Größe der Fensterscheiben verändert werden, so bedeutet dies für den Einzelnen in der Regel, sich möglichst „weit zu öffnen“ oder sein Verhalten anzupassen.
Sind Veränderungen das Ziel, so geht es häufig darum, den „Blinden Fleck“ zu verkleinern, also zu erfahren, was andere über dich „wissen“. In der Folge wird oft erwartet, dass du dich anpasst. Je nach dem Zweck des Seminars kann es aber auch sein, deine Privatheit teilweise aufzugeben und dich anderen zu „öffnen“. Die Erwartung der Seminarleiter gehen dahin, das Zusammenleben oder die Zusammenarbeit dadurch zu verbessern, und sie erhoffen sich dadurch „positive Effekte“. Weil das System auch in Selbsterfahrungsgruppen verwendet wird, glauben manche Menschen, dass es auch Einfluss auf das psychische Empfinden hat.
Die Bewertung des Johari-Fensters
Vorteile:
1. Das Modell ist nützlich, um zu zeigen, dass die vier Bereiche modellhaft existieren, und deshalb ist es durchaus geeignet, auch öffentliche sichtbare und geheime Emotionen darzustellen.
2. Es eignet sich auch, um die Auswirkungen der Emotionen bei sich selbst und anderen zu überprüfen.
Nachteile:
1. Beim Johari-Fenster werden Begriffe wie „Ehrlichkeit und Offenheit“ stark strapaziert. Wie viel Offenheit und Ehrlichkeit wird verlangt? Was ist, wenn du den Zugriff auf deine Gefühle verweigerst?
2. Die ganze Prozedur wirkt angeblich nur dann, wenn die Teilnehmer (also auch du) bereit sind, sich zu verändern.
Unser Eindruck vom Johari-Window
Das Johari-Fenster erweist sich als bedingt brauchbares Modell, das nach 70 Jahren etwas an Attraktivität eingebüßt hat. Obwohl es im ersten Moment verblüfft, zeigt es auf den zweiten Blick Schwächen. Am besten eignet sich das Modell für feste Gruppen. Das ist heute auch das Haupteinsatzgebiet.
Dieser Artikel wurde in verständlichem Deutsch für Lehrende und Lernende geschrieben. Der Artikel enthält Meinungen aus über einem halben Jahrhundert (ca. 1960 bis 2024).
Eine generelle Kritik des Modells findet ihr im Anhang.
Krítik am Johari-Fenster
Das Johari-Fenster wird selten kritisiert. Die Theorie dazu ist dennoch problematisch:
1. Die Idee dahinter ist, dass ein „authentisches Selbst“ existiert.
2. Von diesem „authentischen Selbst“ soll mehr an die Öffentlichkeit gebracht werden.
3. Versucht wird, einen geheimnisvollen Bereich aufzudecken, nämlich „den“ blinden Fleck.
4. In vielen Seminaren wird behauptet, man könne damit mehr „Einsicht“ in das „Selbst“ gewinnen.
5. Durch die Einsichten, die bei der Anwendung des Johari-Fensters entstehen sollen, werden „positive Veränderungen“ des Verhaltens versprochen.
Wieso "ein authentisches Selbst"? Und warum soll es vorgeführt werden?
Was, wenn das „authentische Selbst“, also das reine, unverfälschte ICH, gar nicht existiert? Und falls es gar kein „authentisches Selbst“ gibt, warum sollte diese zweifelhafte Konstruktion dann auch noch öffentlich vorgezeigt werden?
Geheimniskrämerei um "den" Blinden Fleck
Der „Blinde Fleck“ wird allgemein überbewertet - in ihn fließen viele Meinungen anderer ein, die für uns wichtig sein können oder auch nicht.
Herbeigeredete Veränderungen unseres "Selbst"
Die „Einsicht“ in unser Selbst kann auf viele Arten gewonnen werden - aber es ist zweifelhaft, ob das Johari-Window dazu taugt. Die heutigen Anwendungen (in Organisationen, Firmen, Arbeitsgruppen) sprechen eher dagegen, weil sie sich ausschließlich auf die Zusammenarbeit der Gruppe (des Teams) beziehen. Veränderungen (in diesem Fall Selbstveränderungen) beruhen auf Faktoren, die ein Johari-Window nicht abdeckt - sie sind zudem langfristig angelegt und müssen gut geplant werden.
Die erwarten Änderungen bei Seminaren Dieses Schaubild zeigt die erwarteten Veränderungen - links: Vor einem Seminar - rechts: nach einem Seminar.
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